Vier Tage im Mai. Sitzplatzgeschichten

Was für ein Mai. In Hamburg war es der wärmste Mai seit 1881 und auch, wenn es bei uns immer ein paar Grad kälter ist, so war es doch ein außerordentlich warmer Monat. Ich war so häufig schwimmen wie sonst nie im Mai. An meinem Sitzplatz war ich auch, doch ich muss gestehen, dass es mich bei diesen hochsommerlichen Temperaturen immer mehr ins Wasser als ans Wasser zieht.

Doch beginnen wir mit dem Anfang, als es noch gar nicht so heiß war.

Sitzplatz
Mein Sitzplatz an der Eiche

4. Mai morgens 6.00 Uhr, windstill, ca. 10 Grad

Es ist kurz nach Sonnenaufgang. Der Morgen ist frisch und kalt, Nebelschwaden wandern über die Bille. Das große Vogelkonzert bereits vorüber, aber ich freue mich trotzdem an dem Gesang der Vögel. Die Blätter der Weide sind jetzt fast ganz draußen, nur die Schwarzerle steht immer noch braun und tot da. Dafür ist alles andere bereits grün, Brennnessel und Giersch stehen schon kniehoch. Langsam kommt die Sonne heraus, zaubert Flecken auf die Bille und taucht alles in ihr schönes Licht. Zwei Entenmännchen schwimmen vorbei. Das Rotkehlchen und die Spechte sind unterwegs und singen.

Auf der anderen Flussseite sehe ich ein Reh, es bemerkt mich und springt weg. Als ich gehe, ist es warm geworden, der Tag kann auch für mich beginnen.

17. Mai 10.00 Uhr, leichter Wind, ca. 18 Grad

Der Sitzplatz zwei Wochen später.

Alles ist sehr viel grüner als noch vor zwei Wochen. Der Pfad ist noch frei, doch die Brennnessel wächst und wächst. In den letzten Tagen war es sehr warm, es hat sich angefühlt wie Sommer. Der Sitzplatz unter der Weide ist verschattet, darum setze ich mich lieber an die Eiche in die Sonne, dort blüht auch schon der erste Hahnenfuß. Die Eichenblätter, die vor ein paar Wochen noch ganz klein waren, sind jetzt groß und dunkelgrün.

Das letzte Wildnispädagogikwochenende im Hohen Fläming hat mir die Ohren für die Vögel nochmal ganz anders geöffnet. Auch wenn ich immer noch ganz am Anfang stehe, freue ich mich, dass ich den Zilpzalp jetzt immer höre und identifizieren kann. Es sind mindestens zwei, die hier in den Weiden unterwegs sind – ihren Lieblingsbäumen, wie man auch an einer anderen Bezeichnung für den Zilpzalp erkennen kann, er heißt auch Weidenlaubsänger. Der Zaunkönig kommt ganz nah an mich heran, die Kohlmeisen markieren ihr Revier recht deutlich und auch die Amseln singen noch. Den Grünspecht höre ich, auch den Kuckuck zum ersten Mal in diesem Jahr.

Doch Fragen über Fragen: Was ist eigentlich aus der Bachstelze vom November geworden? War sie hier nur Wintergast? Ab wann hört der Zilpzalp auf zu singen? Wo sind die eigentlich die Nester der Amseln um mich herum? Wo die der Enten? Wo genau hat der Specht seine Höhle? Ich sehe ihn viel auf der Erle, die jetzt als letzter Baum langsam grün wird.

Der Mäusebussard kreist lautlos.

Fast ist mir ein wenig wehmütig zumute, dass die wilden ersten Frühjahrswochen schon vorbei sind, eigentlich sind sie meine liebste Zeit im Jahr.

Zum Abschluss gehe ich ein letztes Mal bis ganz nach hinten auf der Halbinsel, nehme Abschied für den Sommer. Das Gras und die Brennnesseln werden langsam zu dicht. Rehe werde ich hier wohl keine mehr sehen.

Blauflügel Prachtlibellen25. Mai 7.15 Uhr, leichter Wind, ca. 17-20 Grad

Die Brennnesseln sind teilweise hüfthoch, lange wird es nicht mehr dauern, dann ist mein Sitzplatz unzugänglich. Sowohl unter der Eiche als auch unter den Weiden ist es sehr schattig. Trotz der vergangenen warmen Tage friere ich in meinem T-Shirt. Den Mücken ist es leider schon warm genug, sie umschwirren meine nackten Arme.

Vogelmorgen. Der Kuckuck ruft sehr laut. Zilpzalp in der Ferne. Ein Specht keckert seinen Alarm. Die Enten kommen vorbei. Die Amsel sind flötend in der Eiche über mir, dazwischen der leicht metallische rhythmische Gesang der Kohlmeisen. Ein leichtes tsi-tsi ist zu hören, ähnlich wie die Goldammer, doch leicht anders. Wer das wohl sein mag?

Außer Vogelstimmen kann ich keine Tierspuren entdecken, die Üppigkeit der Vegetation hat mich schon letzten Sommer irgendwie überfordert. Ich merke, dass mich das irritiert, dass ich die klare Winterstimmung ein wenig vermisse – dabei bin ich sonst ein ausgesprochener Sonnenanbeter.

30. Mai ca. 10.00 Uhr, kein Wind, 25 Grad

Es ist sehr sonnig, die letzten Tage waren überaus heiß. Diesmal bin ich froh um den Schatten unter der Weide und genieße die Kühle. Die Mücken sind natürlich auch wieder da, doch diesmal bin ich gewappnet. Die Hummeln sind jetzt auch unterwegs, auf dem Wasser schwirren die Blauflügel Prachtlibellen.

Es hat immer noch nicht geregnet, der Wasserstand der Bille ist extrem niedrig. Seit einem Monat haben wir keinen Regen mehr gesehen, das ist sehr ungewöhnlich für Norddeutschland. Die Bille ist ganz braun und bewegt sich langsam und träge, kein Vergleich zu dem fröhlichen Gluckern, das ich im Frühling gehört habe. Die umgefallenen Bäume im Wasser haben grüne Zweige, was für eine ungeheuerliche Kraft dahinter stehen muss. Eine Entenmama kommt mit ihrem Kücken (nur einem) vorbei, es ist schon recht groß und wird bald selbstständig sein.

Der Zilpzalp singt, aber diesmal sehr viel verhaltener, ist ja auch schon recht spät am Tag.  Die Kohlmeisen sind heute zu mehreren unterwegs, vielleicht die ersten ausgeflogenen Jungvögel, die sich jetzt zum Schwarm zusammenschließen und jetzt ihre Hierarchie festlegen? Ich beobachte auf jeden Fall einen seltsamen Zittertanz.

Der Eichelhäher begleitet mich diesmal. Er badet vor mir in der Bille ohne mich zu bemerken und erinnert mich daran, dass ich zuhause dringend eine Tränke für die Vögel aufstellen muss. Später fliegt er dann unter den Eichen durch in die Weiden. Er scheint mich nicht zu bemerkten, auf jeden Fall gibt er keinen der Warnrufe ab, für die er sonst so bekannt ist.

Der Kleiber läuft die Erle hinab, fliegt in die Weiden hinein. Amselwarnungen hinter mir, aber ich kann den Grund nicht erkennen. Wieder einmal überwältigt mich die Üppigkeit der Vegetation um diese Jahreszeit.

Das war der Mai. Geregnet hat es erst wieder am 1.6. Juni abends und dann mit einer solchen Macht, dass es unseren Keller überschwemmt hat. Jetzt ist es wieder trocken, es soll wieder heiß werden am Wochenende. Wie lange ich wohl dieses Jahr an meinen Sitzplatz werde gehen können?

Und wie war es bei euch? Habt ihr es auch nur im Wasser ausgehalten? Ich würde mich freuen, eure Geschichten zu lesen.

Herzlichst

Eure Kathrin

 

 

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